Wrack des Panzerkreuzers Scharnhorst entdeckt

Begonnen von maxim, 05. Dezember 2019, 18:29:28

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maxim

Das Wrack des 1914 in der Schlacht bei den Falklandinseln versenkten Panzerkreuzers ("Großen Kreuzers") Scharnhorst wurde von einer Expedition auf der Seabed Constructor gefunden:

https://youtu.be/Ne7-CPxxIsI

https://www.bbc.com/news/world-latin-america-50670743

Im Bau: dänische Schaufelradkorvette Gejser (1/700, Brown Water Navy Miniatures)


MiG-Fan

Hi,

danke für die Links. Hatte das heute auch schon gehört.  :P Passt iwie wie die Faust aufs Auge  :D jetzt wo ich vor 2 Tagen gerade mein Kombirg Modell der SMS Scharnhorst bekommen habe.  :7:

Gruß

Uwe

maxim

Hier eine Dokumentation über die Suche nach der Scharnhorst:

https://www.zdf.de/dokumentation/zdf-history/die-todesflotte---die-suche-nach-den-schiffen-des-kaisers-100.html

Die Doku ist wirklich empfehlenswert, wenn man einige Übertreibungen bei der Darstellung des historischen Hintergrunds ignoriert. Also am besten nicht nach den ersten Minuten stoppen, die Wrackaufnahmen sind in der zweiten Hälfte.

Sehr beeindruckend ist, wie gut ausgerüstet die Seabed Constructor im Vergleich zu dem ersten Schiff, der Endeavour, das für die Suche verwendet wurde, ist.
Im Bau: dänische Schaufelradkorvette Gejser (1/700, Brown Water Navy Miniatures)


JWintjes

Ganz ehrlich:

Ja, die Wrackaufnahmen sind faszinierend.

Trotzdem ist das insgesamt an - hartem! - Unsinn nicht zu überbieten. Das übliche Historikertrinkspiel - einen kippen, wenn etwas falsch ist - würde hier unweigerlich zum Alkoholtod führen.

Ehrlich, mich hat das schockiert.

ZDF History ist nun nicht für extrem hochwertige Sachen bekannt, aber das ist auf verschiedene Art und Weise schrecklich, und nicht nur hinsichtlich der völlig indiskutablen und unterirdischen Texte; auch das Bildmaterial und die CGI sind über das übliche Maß hinaus lieb- und kenntnislos zusammengeschustert.

Ich muß gestehen, als Historiker ärgert mich so etwas. Ich erwarte keine absolute Präzision im Bildmaterial - den Stummfilm zu verwenden ist beispielsweise eine gute Idee -, und auch eine detaillierte Analyse des Gefechts ist sicher zuviel erwartet.

Aber wenn ich mir vorstelle, man würde so beispielsweise über naturwissenschaftliche Zusammenhänge berichten? Wäre es in Ordnung, eine Doku über die Erdgeschichte zu basteln, die die Erde flugs zur Scheibe erklärt?

Jorit

Der Lingener

Die Erde, mein lieber Jorit, IST eine Scheibe :6:


www.kitreviewsonline.de

Modellbau soll Spaß machen, Entspannung bringen und Hobby bleiben!

JWintjes

Wie, ich dachte, wir leben in einer Hohlwelt?

Jorit

maxim

Ich fand die Doku primär in Bezug auf die Suche nach dem Wrack interessant.

Historisch und technisch waren einige Fehler dabei - aber nichts, was meiner Einschätzung nach der Behauptung entsprechend würde, dass die Erde flach sei. Für mich waren es die üblichen Übertreibungen in Dokus, insbesondere über militärische Themen. Alles wird immer sehr viel wichtiger gemacht als es in Wirklichkeit war, da es ja sonst nicht spannend wäre. Genauso werden ja Entschlüsselungen, Kommandounternehmen etc. behandelt. Alles muss kriegsentscheidend sein, den Lauf der Geschichte verändern...

Diverse Details werden nicht so wichtig genommen... Da kann man schon ein Schlachtschiff mit der Gneisenau verwechseln. Die Nutzung von diversen Filmaufnahmen als Hintergrund ist üblich - in diesem Fall war es sogar relativ transparent, da der Stummfilm sogar explizit genannt wurde.

Nur als Anmerkung: Fehler bei naturwissenschaftlichen Sendungen sind häufig, wie auch bei Nachrichten, z.B. in Bezug auf Nobelpreise. Es sind aber meist keine gravierenden Fehler, also nichts à la die Erde ist flach. Meistens sind es einfach Punkte, die zeigen, dass es an entsprechenden Fachwissen fehlt - was für >99% der Menschen gilt und das ist nicht zynisch gemeint. Es ist heute extrem schwierig mit dem aktuellen Wissensstand mitzuhalten, da niemand die Möglichkeit hat, sich wenigstens mit vielen Themen genauer zu beschäftigen - und nur sehr wenige haben die Möglichkeiten, dass ihr Wissen überprüft wird, sie also feststellen können, ob sie etwas richtig verstanden haben. Da reicht es ja nicht viel zu lesen. Der Bestätigungsfehler (confirmation bias) ist etwas, was man nur sehr schwer vermeiden kann, insbesondere bei Themen, mit denen man sich nicht laufend auf einer professionellen Ebene beschäftigt.
Im Bau: dänische Schaufelradkorvette Gejser (1/700, Brown Water Navy Miniatures)


Der Nordhorner

Zitat von: Der Lingener in 26. August 2021, 21:59:36
Die Erde, mein lieber Jorit, IST eine Scheibe :6:

Genau. Auf dem Rücken von 4 Elefanten.
Gruß, Michael
Schönen Resttag noch.

JWintjes

Zitat von: maxim in 27. August 2021, 15:38:58
Historisch und technisch waren einige Fehler dabei - aber nichts, was meiner Einschätzung nach der Behauptung entsprechend würde, dass die Erde flach sei.

Das sehe ich anders.

Hinsichtlich der grundsätzlichen Fehlerbelastung solcher Beiträge hast Du sicher recht, und ich will ja auch gar keine großartigen Maßstäbe anlegen.

Du hast natürlich ebenfalls recht, wenn es um den üblichen Superlativ-Wahn geht - natürlich war die Scharnhorst das modernste Schiff, natürlich bestand die Besatzung aus hyperausgebildeten Superspezialisten usw. usw. Das kennt man ja, ärgerlich ist es trotzdem.

Aber - das Kreuzergeschwader als *den* Versuch der kaiserlichen Marine darzustellen, die Kontrolle über "die Meere" zu gewinnen? Da wird nicht nur die Erde schon ziemlich geplättet, das deutet halt den Seekrieg ganz grundsätzlich ziemlich um, und man fragt sich, ob das sein muß.

Und auch solche Fehler wie die angebliche deutsche Basis in Shanghai fallen schon eher in die Kategorie "grober Schnitzer". Hey, warum nicht einen Bericht, wie die Nazis einen Reaktor mit Actinium basteln wollten? Liegt doch nur drei Stellen vom Uran weg?

Über die Filmaufnahmen müssen wir nicht reden. Früher dachte ich mal, das sei gezielte Bösartigkeit, aber es ist den Machern schlicht egal. Schiff, dicke Kanone, paßt. Und man nimmt immer den gleichen Mist, selbst dann, wenn es authentisches Filmmaterial gäbe.

ZitatEs ist heute extrem schwierig mit dem aktuellen Wissensstand mitzuhalten, da niemand die Möglichkeit hat, sich wenigstens mit vielen Themen genauer zu beschäftigen - und nur sehr wenige haben die Möglichkeiten, dass ihr Wissen überprüft wird, sie also feststellen können, ob sie etwas richtig verstanden haben.

Das sehe ich ebenfalls anders.

Für den einzelnen mag das gelten, für eine Produktionsfirma ist es dagegen kein Problem, sich Expertise ins Boot zu holen. Überraschenderweise kostet die auch gar nicht mal so viel - deutlich weniger als beispielsweise grützige CGI... -, und sie ist - wenigstens bei historischen Themen - relativ einfach verfügbar.

Jorit

maxim

Zitat von: JWintjes in 27. August 2021, 19:41:57
Aber - das Kreuzergeschwader als *den* Versuch der kaiserlichen Marine darzustellen, die Kontrolle über "die Meere" zu gewinnen? Da wird nicht nur die Erde schon ziemlich geplättet, das deutet halt den Seekrieg ganz grundsätzlich ziemlich um, und man fragt sich, ob das sein muß.
Das sehe ich auch als eine der typischen Übertreibungen. Im gewissen Sinn war das Kreuzergeschwader auch zu Beginn des Kriegs der stärkste Versuch - natürlich um die Handelsrouten zu beeinträchtigen, nicht die Kontrolle über die Meere zu gewinnen. Das mit der Kontrolle ist nun mal wieder eine Übertreibung. Aber vergleichbar damit, dass die Erde flach wäre? Nee. Wenn sie behauptet hätten, dass das Kreuzergeschwader gegen Mosasaurier oder Aliens gekämpft hätte, das wäre vergleichbar gewesen, weil es ein komplett falsches Verständnis der Welt und der Geschichte zeigen würde.

Zitat von: JWintjes in 27. August 2021, 19:41:57
Und auch solche Fehler wie die angebliche deutsche Basis in Shanghai fallen schon eher in die Kategorie "grober Schnitzer". Hey, warum nicht einen Bericht, wie die Nazis einen Reaktor mit Actinium basteln wollten? Liegt doch nur drei Stellen vom Uran weg?
Das ist wirklich ein grober Schnitzer. Deutsche Schiffe waren sicher öfters in Shanghai, aber es als die Basis des Kreuzergeschwaders darzustellen, ist wirklich ein merkwürdiger, da leicht vermeidbarer, grober Fehler.

Zitat von: JWintjes in 27. August 2021, 19:41:57
Für den einzelnen mag das gelten, für eine Produktionsfirma ist es dagegen kein Problem, sich Expertise ins Boot zu holen.
Das bezog sich auf den Einzelnen oder den einzelnen Journalisten. Bei dieser Doku kamen so viele Historiker zu Wort, da wäre das Wissen sicher vorhanden gewesen.

Ich denke trotzdem, dass das primäre Problem der Superlativ-Wahn ist, die laufenden Übertreibungen, dass alles entscheidend für den Verlauf der Geschichte sein muss, alles weltbewegend etc. Aber viele interessante Sachen waren nun mal nicht so wichtig, praktisch der gesamte Seekrieg im Ersten Weltkrieg hatte keine besonders relevante Rolle. Ich verstehe nicht, warum man nicht einfach nüchtern die Ereignisse beschreiben kann. Die sind für sich interessant genug - wie auch die Suche nach dem Wrack für sich interessant genug ist.
Im Bau: dänische Schaufelradkorvette Gejser (1/700, Brown Water Navy Miniatures)


JWintjes

In Sachen Übertreibung hast Du sicher recht.

Zitat von: maxim in 28. August 2021, 08:37:36Aber viele interessante Sachen waren nun mal nicht so wichtig, praktisch der gesamte Seekrieg im Ersten Weltkrieg hatte keine besonders relevante Rolle.

Da muß ich allerdings schon schlucken - ok, es sind keine Mesosaurier, aber aus der Sicht eines Historikers klopft das schon heftig auf der Geschichte herum...  :D

Jorit

maxim

Wieso?

Welche große Bedeutung hatte er den?

Der existierende Seekrieg hat am status quo nichts geändert, also kann man höchstens sagen, dass er ihn erhalten hat. Wenn niemand eine Marine gehabt hätte, wäre der Erste Weltkrieg also dann auch nicht anders ausgegangen... (außer wenn dann einzelne Armee besser ausgerüstet und erfolgreicher gewesen wären). Die meisten Kriege in Europa wurden an Land entschieden, Seekrieg war bestenfalls sekundär.
Im Bau: dänische Schaufelradkorvette Gejser (1/700, Brown Water Navy Miniatures)


Das Faultier

@maxim: da muss ich aber mal ganz ketzerisch fragen: meinst Du es wäre ohne den uneingeschränkten Ubootkrieg zu einem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten gekommen? Und grade das war doch eine erhebliche Auswirkung des Seekrieges im ersten Weltkrieg oder?

Edith: ich finde die Doku auch einfach nur grausig - danke für die Warnung!

maxim

Das ist zumindest mal nicht ganz unumstritten - genauso wie wichtig der Kriegseintritt der USA war.
Im Bau: dänische Schaufelradkorvette Gejser (1/700, Brown Water Navy Miniatures)


Gøran

Zitat von: maxim in 30. August 2021, 13:21:49
Die meisten Kriege in Europa wurden an Land entschieden, Seekrieg war bestenfalls sekundär.

Nun, die stark Importabhängigen Nationen, wie beispielsweise Großbritannien, würden diesen Satz wohl so nicht stehen lassen  :pffft: .

maxim

#15
Ja, aber welche der großen europäischen Kriege wurde durch Großbritannien entschieden?

Im Ersten Weltkrieg spielte Großbritannien noch die wichtigste Rolle - durch den für Großbritannien sehr ungewöhnlichen massiven Einsatz der Armee, nicht durch die Marine, die die meiste Zeit im Hafen lag. In diesem Krieg musste Großbritannien die meisten Opfer beklagen - überwiegend der Armee. Es fielen 702.410 Angehörige der britischen Armee, 32.287 der Royal Navy und 9.378 der Luftwaffe (bei Wiki als Royal Air Force angegeben, aber die wurde erst 1918 gegründet).

Großbritannien war sicher importabhängig, aber diese Importe waren nur sehr kurzzeitig wirklich ernsthaft durch den U-Boot-Krieg bedroht und konnten durch die Einführung des Konvoi-Systems wieder gesichert werden - also der status quo wieder hergestellt werden.
Im Bau: dänische Schaufelradkorvette Gejser (1/700, Brown Water Navy Miniatures)


Gøran

#16
Ich habe mich auf o.g Aussage von dir bezogen, dass die meisten Kriege Europas an Land entschieden wurden.

Ein Weltkrieg wird nuneinmal nicht nur an Land entschieden. Vielmehr sollte beachtet werden, was zu diesen Entscheidungen beigetragen hat.

IMHO jeder Historiker würde folgende Schlüsselwörter als durchaus Richtungsweisend in einem Kriegsgeschen bewerten.

Als da wären; Be/Entsatzungen, Träger gestützte Flottenverbände, Handelsblockaden und letztlich seegestützte Versorgungseinrichtungen.

Um es an dieser Stelle für mich abzuschließen...
Ohne die Erfolge von Seestreitkräften wären die Erfolge der Landstreitkräfte so nicht ausgegangen.

Das soll kein Blick in die Glaskugel bezüglich des Ausgangs eines Kriegsgeschen sein, sondern lediglich ein Hinweis auf strategische Auswirkungen.

maxim

#17
Ich bezog mich auf den Krieg in Europa. Der Erste Weltkrieg wurde in Europa entschieden, alle Kriegsereignisse außerhalb Europas waren ziemlich unbedeutende Nebenkriegsschauplätze.

Entscheidend im Ersten Weltkrieg waren die Kämpfe an der Westfront.

Ladungsoperationen gab es, aber aber nur an Nebenkriegsschauplätzen. Flugzeugträger gab es - waren aber nur exotische, nicht wirklich entscheidende Schiffe. Handelsblockaden gab es, aber die unterlief Deutschland überwiegend durch Handel mit den Niederlanden, Dänemark und Norwegen (und weiter über deren Handelsschiffe). "Seegestützte Versorgung" gab wenn man die Transporte über den Kanal so bezeichnen will, plus die Importe in die Länder der Entente. Aus geographischen Gründe konnte Deutschland gegen diese Importe praktisch nicht viel machen. Die U-Boot-Offensive war nur sehr kurzfristig bis zur Einführung des Konvoisystems erfolgreich.

Im Zweiten Weltkrieg spielte der Seekrieg in Europa eine etwas größere Rolle, da sich die westliche Alliierte erst über Landungsunternehmen in Nordafrika, Italien und Frankreich wieder am Bodenkrieg beteiligen konnten. Flugzeugträger spielten dabei praktisch keine Rolle, waren an den meisten Landungen nicht einmal beteiligt. Die Situation in Bezug auf Handelsblockaden sah etwas anders aus: a) da Deutschland alle neutrale Staaten, über die es handeln konnte, besetzt hatte und b) durch die Eroberung von Frankreichs Stützpunkte am Atlantik erobern konnte, so dass mehr Stützpunkte für U-Boote und Überwasserschiffe vorhanden waren und so mehr gegen den britischen Handeln unternehmen konnte. Entschieden wurde der Krieg aber der Ostfront, dort erlitten die Deutschen die meisten Verluste. Der wichtigste Beitrag über See dazu waren die Transporte durchs Nordmeer, die aber keineswegs die einzige Versorgungsroute zwischen den westlichen Alliierten und der UdSSR waren.

Wenn man alle Marinen nicht existiert hätten, wäre es genauso ausgegangen.

In Bezug auf den Zweiten Weltkrieg im Pazifik ist die Situation anders - alleine schon aus geographischen Gründen. Dort war der Seekrieg sehr viel wichtiger.
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JWintjes

Nur ein paar kurze Hinweise zum ersten Weltkrieg:

Das Konvoisystem wurde ja schon erwähnt. Im Herbst 1917 steht England vor dem Kollaps, ohne die Einführung des Konvoisystems hätten die Engländer den Winter nicht überlebt. Man muß hier also konstatieren, daß der Seekrieg insofern von entscheidender Bedeutung war, als er den Ausfall Englands und damit vermutlich einen für Deutschland positiven Frieden verhindert hat. Auch die möglichen Folgen anderer Ausgänge des Seekrieges in der Nordsee lassen sich nicht einfach so wegschieben, auch wenn sie im Einzelfall schwierig abzuschätzen sind. Die Bedeutung des Ostasiengeschwaders war sicher gering, da stimme ich Dir zu, für den gesamten Krieg bzw. den gesamten Seekrieg gilt das aber nicht.

Ob der Krieg an der Westfront entschieden worden ist, darüber kann man trefflich streiten. Wir haben uns angewöhnt - und da nehme ich meine Zunft ausdrücklich nicht aus -, den ersten Weltkrieg im Wesentlichen als den Krieg im Westen zu sehen, sowohl was seine Ausprägung - Grabenkrieg - als auch die Visualisierung angeht - Bilder vom Schrecken des industrialisierten Krieges etc. -; das ist aber eine viel zu unterkomplexe Sicht auf den Konflikt. Man könnte beispielsweise mit gleichem Recht konstatieren, daß der Krieg im Osten entschieden wurde - durch das zu weite Ausgreifen der deutschen Kräfte und das zu langsame Zurückführen in den Westen -, oder auf dem Balkan und in Oberitalien durch den Zusammenbruch der KuK-Monarchie, oder eben auf See durch das Scheitern der deutschen U-Boot-Offensive.

Die alliierte Seeblockade war löchrig, das ist richtig. Das war eine bewußte Entscheidung der Engländer, die Pläne für eine Close Blockade lagen seit 1912 in der Schublade. Es ist bis heute nicht ganz klar, warum das Instrument nicht eingesetzt worden ist - das hatte nichts mit Furcht vor möglicher deutscher Gegenwehr zu tun -; Andrew Lambert hat mal vermutet, daß es mit Befürchtungen hinsichtlich des diplomatischen Fallouts in den betroffenen neutralen Staaten zu tun hatte.

Zu fragen, was gewesen wäre, wenn niemand eine Flotte gehabt hätte, ist wenig sinnvoll - denn sie waren da und hatten an der Vorgeschichte des Konfliktes nicht geringen Anteil. Interessanter wird es da schon, wenn man fragt, was gewesen wäre, wenn niemand Schiffe gehabt hätte. Dann wären die Deutschen nämlich nach Paris vorgestoßen, da die Engländer niemanden auf den Kontinent hätten verbringen können.  ;) :D

Jorit

maxim

Also wie ich davor schrieb, die Bedeutung des Seekriegs lag darin, dass keiner Seite es gelang irgendetwas signifikant zu ändern:

Zitat von: maxim in 30. August 2021, 13:21:49
Der existierende Seekrieg hat am status quo nichts geändert, also kann man höchstens sagen, dass er ihn erhalten hat.

Die Kriegsschauplätze im Osten, Balkan und Süden hatten sich ihre Bedeutung, aber entscheidend waren doch die schwere Verluste an der Westfront, die einerseits direkt zum uneingeschränkten U-Boot-Krieg geführt haben (eine Verzweiflungsaktion aufgrund fehlender Alternativen) und dann die gescheiterten Frühjahrsoffensive 1918 (und die damit verbundenen massiven Verluste), die den Zusammenbruch bewirkte - und damit den Waffenstillstand.

Das die alliierte Blockade löchrig war, war nicht dadurch bedingt, dass man sich für die Blockade der Ausgänge der Nordsee (Fernblockade) statt der Deutschen Bucht (Nahblockade) entschied. Der Handel lief über neutrale Länder und deren Schiffe und ging dann über den Landweg (bzw. über den Skagerrak und die Ostsee) nach Deutschland. Die Blockade der Deutschen Bucht hätte daran nichts geändert.

Warum man sich gegen die Blockade der Deutschen Bucht entschieden hat, ist doch eigentlich offensichtlich: es waren schwere Verluste durch Minen, U-Boote und Torpedoboote zu erwarten. Also auch der Grund, warum die Grand Fleet dann nach den Verlusten im August 1916 sich entschied, überhaupt nichts mehr in die südliche Nordsee vorzustoßen. Damit nahm man der Kaiserlichen Marine die Möglichkeit die Überlegenheit der Grand Fleet durch Abnützung zu reduzieren und gleichzeitig nahm man der Kaiserlichen Marine auch die Möglichkeit, gegen die Seeblockade etwas ernsthaftes zu machen - zumindest aus der Sicht der deutschen Admiralität, die für den Großteil des Kriegs keine größeren Angriffe auf die Blockadestreitkräfte auch nur erwog.

Diese Entscheidung bedeutete natürlich auch, dass die Schlachtflotten beider Seiten praktisch bedeutungslos wurden. Die Kaiserliche Marine war technisch nicht in der Lage die Fernblockade mit dem Einsatz der Hochseeflotte zu verhindern, selbst eine Niederlage der Grand Fleet hätte daran nichts geändert. Umgedreht hätte eine Niederlage der Hochseeflotte auch nichts geändert, da die Fernblockade sowieso schon errichtet war und die Hochseeflotte aufgrund ihrer mangelnden Reichweite praktisch nur zu symbolischen Beschießungen der englischen Küste oder Verstößen gegen Konvois (erst bei Kriegsende überhaupt relevant) in der Lage war.

Damit blieb beiden Marinen zur Rechtfertigung ihrer Existenz nur der Kleinkrieg mit Minen, Zerstörern und U-Booten. Und ehrlich: es ist überraschend, dass nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs nicht noch mehr bei der Royal Navy eingespart wurde. Ohne die Bedrohung durch Japan (und irgendwie die USA), also beides maritime Bedrohungen, wäre Royal Navy wohl noch stärker zusammen gestrichen worden, als es durch die Flottenverträge sowieso der Fall war.
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JWintjes

Wie schon gesagt, die Fokussierung auf die Westfront, die kurz nach Ende des Krieges begonnen, dann durch die politische Aufladung erheblich zugenommen hat und schließlich in einem Standardnarrativ mündete, das bis heute im öffentlichen Diskurs präsent ist (angesichts der nationalistisch-ultrarechten Herkunft dieses Narrativs ist das eigentlich kurios), ist unterkomplex. Auch die deutsche Strategiefindung war keineswegs ausschließlich auf die Westfront konzentriert, was ja auch die Kriegsführung nach dem Scheitern der Verdunoffensive zeigt. Die Gründe für den Zusammenbruch waren äußerst vielfältig, und hierbei beispielsweise die Auflösung Österreich-Ungarns wegzulassen, ist schlicht verkehrt. Keiner behauptet, die Westfront sei unwichtig gewesen. Aber der erste Weltkrieg war ein Geschehen, das sich eben nicht im Grabenkrieg erschöpfte.

In Sachen Blockade hast Du mich falsch verstanden. Die Konzepte der Admiralität beinhalteten eine völlige Blockade einschließlich einer Close Blockade. Völlige Blockade bedeutete, jedes Handelsschiff mit Ziel Kontinentaleuropa an- bzw. aufzuhalten. Die Folgen wären mutmaßlich verheerend gewesen. Daß man das nicht gemacht hat, hängt mit politischen Überlegungen, nicht mit Angst vor deutschen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Blockadeflotte zusammen.

In Sachen Rechtfertigung der Existenz beider Marinen kann ich Deiner Logik im Falle der deutschen Marine ein Stück weit folgen - letztlich ist das ja keine neue Diskussion, sondern eine, die in verschiedensten Formen seit der Tirpitz'schen Flottengesetzgebung immer wieder geführt worden ist. Denkbar wäre durchaus, daß eine Konzentration auf eine Marine aus Kreuzern und leichten Kräften in gleicher Weise den Platz an der Sonne gesichert, aber einen Konflikt mit den Engländern vermieden hätte.

Das auf die Royal Navy anzuwenden ist allerdings abwegig bzw. ein klassischer Fall von "hinterher ist man immer schlauer". Die Rüstungen der Royal Navy orientierten sich ja nie ausschließlich an einem möglichen künftigen Gegner, auch wenn die Flottenrivalität zwischen Deutschland und England in den Jahren unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg dramatisch zunahm. Letztlich bestand die Aufgabe der Marine darin, der Politik Handlungsoptionen für alle möglichen Konflikte an die Hand geben zu können - und das schloß bis zum Anfang des 20. Jh. Konflikte mit Frankreich und Rußland ein, Konflikte, die natürlich auf See ausgetragen werden würden.

Eine Sache noch: "Signifikant zu ändern" - was genau bedeutet das? Einen dramatischen Einfluß auf das Kriegsgeschehen haben? Spitzfindig könnte man dann argumentieren, daß der Entschluß zum uneingeschränkten U-Boot-Krieg, der zum Kriegseintritt der USA führte, genau das war. Aber ist nicht auch die Verhinderung einer signifikanten Änderung durch den Gegner von Bedeutung? Könnte man nicht mit gutem Recht argumentieren, die Einführung des Konvoisystems sei kriegsentscheidend gewesen, denn nur sie habe es England ermöglicht, im Krieg zu bleiben und so die Westfront gerettet?

Jorit

maxim

#21
Niemand hat behauptet, dass die deutsche Strategie ausschließlich auf die Westfront konzentriert war - aber dort war der Großteil der Truppen, dort gab es die meisten Verluste und die Niederlage dort führte direkt dazu, dass Hindenburg und Ludendorff die Politik drängten einen Waffenstillstand zu vereinbaren.

Der Zusammenbruch auf dem Balkan oder Österreich-Ungarns hatte nicht diese direkte Folgen. Unbedeutend waren diese Ereignisse nicht, sie waren sehr sehr viel bedeutender als jede Aktion des Seekriegs.

"Close Blockade" war dann halt leider das falsche Stichwort. Das war das Konzept, eine Blockade in der Deutschen Bucht zu errichten.

Die Royal Navy hatte nach dem Ersten Weltkrieg Probleme die massiven Ausgaben für sie zu rechtfertigen - angesichts der Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg.

Führte der U-Boot-Krieg wirklich direkt zum Kriegseintritt der USA? Und war das entscheidend? Die entscheidende Niederlage erlitt Deutschland durch die gescheiterte Frühjahrsoffensive bevor die USA im wirklich großen Umfang Truppen einsetzen konnten. Im Gegensatz zum Zweiten Weltkrieg, war im Ersten Weltkrieg das US-Militär von europäischen Waffenliferanten stark abhängig. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass es sehr wahrscheinlich das US-Militär war, dass versehentlich die Spanische Grippe nach Europa brachte - und diese Pandemie tötete mehr Menschen als der Erste Weltkrieg. 

Der uneingeschränkte U-Bootkrieg und die Reaktion darauf, das Konvoisystem, waren nur in der Form entscheidend, dass das Ergebnis wieder die Ausgangslage war. Der Kaiserlichen Marine war es nicht gelungen das versprochene Ziel zu erreichen, die Lage war davor wieder genauso wie danach - außer wenn man das Eingreifen der USA für entscheidend hält. Aber wie gesagt: da gibt es schon Zweifel, sowohl was den Kriegseintritt der USA ausgelöst hat als auch was die Folgen waren. Es ist natürlich klar, dass im Sommer 1918 die zusätzlichen US-Truppen die Unterlegenheit der durch die Frühjahrsoffensive massiv geschwächten deutschen Armee verstärkten und damit den Zusammenbruch der Westfront beschleunigten - aber es wäre interessant, wenn man die Grippetoten und -kranken in diese Rechnung einbezieht. Ich habe leider dazu noch nichts gelesen.
Im Bau: dänische Schaufelradkorvette Gejser (1/700, Brown Water Navy Miniatures)


JWintjes

Entscheidend für die deutsche Niederlage war der Kriegseintritt der USA, das haben alle Zeitgenossen so gesehen. Es ist der bevorstehende Kriegseintritt, der die Frühjahrsoffensive überhaupt erst nötig und sinnvoll erscheinen ließ. Allen Beteiligten (auch und gerade den Engländern und Franzosen) war im Herbst 1917 klar, daß Deutschland den Krieg 1919 verlieren würde - der Pool an rekrutierbaren Soldaten war ausgeschöpft, während auf der anderen Seite frische amerikanische Kräfte auf die Kriegsschauplätze drängten. Allen Beteiligten war ebenso klar, daß zum Erreichen dieses Ausgangs die Alliierten das Jahr 1918 überleben mußten - deswegen die Frühjahrsoffensive, um einen Durchbruch zu erzielen, bevor die Amerikaner in Frankreich sind. Seither ist viel gemutmaßt worden - was wäre gewesen, wenn man sich im Westen weiterhin defensiv eingestellt hätte und stattdessen den Druck auf die italienische Front nochmal massiv erhöht hätte? Das ist natürlich alles müßig, wichtig ist aber die Reihenfolge:

1. Kriegseintritt der USA

2. Erkenntnis der Folgen des Kriegseintritts

3. Entscheidung zur Frühjahrsoffensive

Was den Kriegseintritt der USA angeht - ich sehe nicht, wie der ohne den Entschluß zum uneingeschränkten U-Boot-Krieg und die Entscheidung, neutrale Handelsschiffe im Atlantik zu versenken, so schnell hätte zustande kommen können. Ja, spätestens seit 1916 gab es deutlich antideutsche Stimmungen in den USA. Die waren aber an Intensität nicht mit dem vergleichbar, was dann 1917 passiert ist. Das Zimmermann-Telegramm hat das nochmal verstärkt, aber wenn man den kompletten Unterseebootkrieg herausnimmt, bleibt zu wenig übrig, um einen Kriegseintritt 1917 irgendwie zu begründen. Und ein Kriegseintritt beispielsweise im Sommer 1918 hätte wahrscheinlich den Zusammenbruch Frankreichs nicht mehr verhindert.

Nur am Rande: Ich wäre vorsichtig, die Entwicklung der Finanzierung der einzelnen Teilstreitkräfte in England nach dem Krieg an den Erfahrungen des Krieges zu messen - dann hätte die Armee in Geld schwimmen müssen; gerade das Gegenteil war der Fall. Es gab schlicht insgesamt viel zu wenig finanzielle Mittel.

maxim

Die Reihenfolge war anders:

1.) Schwere Verluste der deutschen Armee 1916 an der Westfront, die deshalb die Marine drängt mal irgendetwas hilfreiches zum Krieg beizutragen - und deren einzige Idee oder Möglichkeit war der uneingeschränkte U-Bootskrieg.

Dann kommen die anderen Punkte. Das der Kriegseintritt der USA eine wahrscheinliche Folge des U-Bootkriegs war, war der deutschen Führung bekannt - wurde aber in Kauf genommen. Frühere Versenkungen hatte die Stimmung in den USA gegen Deutschland verschoben, aber wirklich mobilisieren lies sich die Öffentlichkeit dann nicht mit der Erklärung, dass der uneingeschränkte U-Boot-Krieg wieder aufgenommen wurde, sondern mit dem Zimmermann Telegramm. Das Telegramm beruhte natürlich auf der deutschen Ansicht, dass der Kriegseintritt der USA durch den U-Bootkrieg sehr wahrscheinlich war.

D.h. die schwere Verluste an der Westfront hat eine letztendlich erfolglose U-Boot-Offensive ausgelöst. Der Kriegseintritt der USA hat dann die deutsche Frühjahrsoffensive im Westen bewirkt, die der deutschen Armee das Genick gebrochen hat. Die USA wurde nicht wegen ihrer Marine als Bedrohung gesehen, sondern wegen ihrer Armee, der Zahl der Menschen.

Es bleibt dabei: entscheidend war der Krieg an Land, wie bei den meisten Kriegen in Europa. Der Krieg auf See hat den status quo nicht geändert, die sehr teuren Schlachtflotten waren überwiegend inaktiv und für die Bedingungen des Kriegs auch weitgehend nutzlos.

Wie gesagt: angesichts der Erfahrungen des Ersten Weltkriegs ist es überraschend, dass die Royal Navy nach dem Krieg nicht stärkere Einsparungen in Kauf nehmen musste.
Im Bau: dänische Schaufelradkorvette Gejser (1/700, Brown Water Navy Miniatures)


JWintjes

#24
... Post gelöscht wegen technischem Problem; ich melde mich nachher nochmal ...